Designkriterien von Netzteilen für den Einsatz in medizinischen Geräten, Teil 1: Sicherheitstrennstelle

Designkriterien von Netzteilen für den Einsatz in medizinischen Geräten, Teil 1: Sicherheitstrennstelle

EN 60601-1 3rd Edition: Auswahl- und Designkriterien an der Sicherheitstrennstelle von Netzteilen, für den Einsatz in elektrische medizinische Geräte zur Einhaltung der elektrischen Sicherheit im Sinne der EN 60601-1 dritte Ausgabe.

April 2014
Reinhold Schulz

Seit Juni 2012 ist die 3. Ausgabe der EN 60601-1 in Kraft. Sie ersetzt als Grundnorm die Vorgängerversion und behandelt für medizinische elektrische Geräte die allgemeinen Festlegungen für die Basissicherheit und die wesentlichen Leistungs-merkmale. Diese Norm ist gültig für ein System und beschreibt die Anforderungen entsprechend. Die Einheit Netzteil kann in diesem System als Komponente betrachtet werden und bei bereits entsprechender Zulassung z.B. nach EN 60950-1 in medizinisch elektrische Geräte eingesetzt werden. Es wird der Begriff MOP (means of protection) verwendet der für das jeweilige medizinische Gerät die Anforderungen an die Schutzmaßnahmen beschreibt, um sowohl das Bedienpersonal als auch den Patient vor einem elektrischem Schlag zu schützen.

Für den Patienten und den Anwender gelten unterschiedliche Anforderungen an die Schutzmaßnahme. Hieraus resultieren für die Komponente „Netzteil“ ebenfalls unterschiedliche Forderungen an die Sicherheitstrennstelle zwischen der Netzein- und der Niederspannungsausgangsseite. Wie der Entwicklungsingenieur bei der Auswahl und Auslegung des erforderlichen Schutz (MOP) im Sinne der Norm vorgehen kann, um Luft- und Kriechstrecken im Transformator und auf der Leiterplatte geeignet dimensionieren zu können, wird weiter unten aufgezeigt.

Nach dem Inkrafttreten der 3. Ausgabe der EN60601-1 für medizinische elektrische Geräte im Juni 2012 gilt es einige Änderungen im Vergleich zu ihren Vorgängern zu beachten, die bei der Auslegung des medizinischen Gesamtsystems und somit auch des Netzteils berücksichtigt werden müssen. Die wesentlichen Anforderungen die einen Einfluss auf die Auslegung der Sicherheitstrennstelle darstellen sind nachfolgend aufgeführt.

Der generelle Ansatz wie ein elektrischer Schlag, hervorgerufen durch ein fehlerhaftes elektrisches Betriebsmittel, für den Benutzer vermieden werden kann, ist Grundlage einer durchgängigen Sicherheitsphilosophie und geht über den Anwendungsbereich der EN60601-1 hinaus. Der grundsätzliche Ansatz besteht darin in das Betriebsmittel zwei unabhängig voneinander funktionierenden Sicherheitsmechanismen zu implementieren, damit bei Ausfall eines der beiden ein elektrischer Schlag sowohl für den Anwender, als auch den Patient ausgeschlossen ist. Dieser Mechanismus wird im Standard als Anwenderschutz bezeichnet. Die EN60601-1 unterscheidet diesen Schutz in den für das Bedienpersonal MOOP (means of operator protection) und den Schutz für den Patient MOPP (means of patient protection). Der erforderliche Anwenderschutz ist abhängig von der Art des medizinisch elektrischen Gerät und muss vom Hersteller für das jeweilige Produkt und dessen Zweck im Sinne dieser Norm festgelegt werden.

Weiterhin fordert die 3. Ausgabe der EN60601-1 von dem Medizingerätehersteller ein Risikomanagement, um unter Anwendung entsprechender Risikobewertungsverfahren die Sicherheit im Sinne des o.g. Standards zu gewährleisten. Für ein medizinisch elektrisches

Gerät erstellt der Hersteller, unter Kenntnis der spezifischen Verwendung, eine Risikobewertung aus dem unter anderem hervorgeht, ob das medizinische Gerät lediglich in Berührung mit dem Bedienpersonal oder mit dem Patienten steht. Die Kenntnis der Art und Weise über den Einsatz und die Anwendung des elektrisch medizinischen Gerätes bestimmt welche Schutzart einzuhalten bzw. zu wählen ist.

Aus diesem Sachverhalt heraus werden bereits in der frühen Entwicklungsphase die Anforderungen an die Stromversorgung, in Bezug auf die Prüfspannung und die erforderlichen Luft- und Kriechstrecken an den Transformator und die Leiterplatte, definiert welche der Entwicklungsingenieur berücksichtigen muss. In Tabelle 1 sind die Minimalabstände zur Realisierung der unterschiedlichen Schutzmaß-nahmen aufgeführt (siehe 8.9.1ff EN60601-1-3rd), die aufgeführten Strecken haben aber lediglich einen theoretischen Wert, die Praxis führt, wie weiter unten gezeigt wird, zu größeren Werten.

Tabelle 1: Minimalforderungen an Luft- und Kriechstrecken nach EN60601-1-3rd. U in =250VAC, Û≤420V; maximaler Höhe ≤ 2000m, Verschmutzungsgrad 2, bei Einsatzhöhe von 4000m ist ein Korrekturfaktor von 1,29 zu berücksichtigen, (siehe Standard: 8.9.1.5 )
MOP SchutzmaßnahmeLuftstreckeKriechstreckePrüfspannung
1 x MOOP Basis Isolierung2,0 mm2,5 mm1,5 kVAC
2 x MOOP Doppelte/verstärkte Isolierung4,0 mm5,0 mm3,0 kVAC
1 x MOPP Basis Isolierung2,5 mm4,0 mm1,5 kVAC
2 x MOPP Doppelte/verstärkte Isolierung5,0 mm8,0 mm4,0 kVAC

Ein Praxisbeispiel zur Auslegung von Luft- und Kriechstrecken eines Netzteils an der Trennstelle zwischen Primär- und Sekundärseite mit einer 2xMOOP Schutzmaßnahme soll den Entwicklungsweg im Sinne der EN 60601-1-3rd näher verdeutlichen. Die Netzbetriebsspannung beträgt 230VAC, die Konvertertopologie ist ausgewählt, ein erstes Platinenlayout ist vorhanden, und die Performance hinreichend bestimmt. Um die Luft- und Kriechstrecken zu erhalten wird wie folgt vorgegangen: Zunächst wird die maximale Betriebsspannung ermittelt die an der jeweiligen Isolierung (im Transformator und auf der Leiterplatte) anliegt. Dieses geschieht unter Verwendung eines Scopes, um sowohl den RMS- als auch den Spitzenwert der Spannung zu erhalten, der die jeweilige Isolierung belastet. Gemessen wird an benachbart liegenden Kupferleiterbahnen, oder Anschlüssen von Bauelementen, hierzu zählt zB. der Transformator, Optokoppler, Y-Kondensatoren etc, an der Trennstelle zwischen Primär- und Sekundärseite ermittelt. Siehe Screenshot 1 des GlobTek Netzteil GTM41076. (an dieser Stelle würde ich das ausstehende Bild einfügen, an dieser Stelle würde ein link zum Test Report Seite 12 gut passen) Die Messung ergibt an den Transformatoranschlüssen einen Effektivwert von 265V und einen Spitzenwert von Û=552V. Mit diesen Daten können die Luft- und Kriechwege mittels Anwendung der entsprechenden Tabellen aus der 3rd Edition wie folgt bestimmt werden:

  • Auslegung der Luftstrecke: Aus Tabelle 13 der 3rd. Edition entnehmen wir unter Verwendung von 265V rms eine Luftstrecke für 2xMOOP von 4,0mm. Zusätzlich ist auf Basis des gemessenen Spitzenwertes von Û=552V eine Zusatzluftstrecke unter Anwendung der Tabelle 14 von 0,4mm für 2xMOOP hinzu zu addieren, was zu einer Gesamtluftstrecke von 4,4mm führt. Die Gerätespezifikation lässt einen Einsatz bis zu einer Höhe von 4000m zu. Dieses erfordert eine weitere Vergrößerung der Luftstrecke mit einem Korrekturfaktor von 1,29 (aus Tabelle 8 der 3rd. Edition). Die so erforderliche Luftstrecke beträgt hieraus (4,0+0,4)x1,29 ≥5,7mm.
  • Auslegung der Kriechstrecke: Unter Verwendung von 265V rms , Verschmutzungsgrad 2 und einem CTI (Comparative Tracking Index) Wert von IIa bzw. IIb ist eine Kriechstrecke von 3,2mm für 1xMOOP (siehe Standard Tabelle 16). Für 2xMOOP bedeutet dieses den 2-fachen Wert, oder die Verwendung eines Schutzleiters liefert bereits eine Schutzart. In dem Beispiel handelt es sich um ein Netzteil mit einem Schutzleiter; somit beträgt die erforderliche Kriechstrecke 3,2mm. Allerdings ist dies lediglich Theorie, denn die EN 60601-1-3rd lässt keine geringeren Kriech- als Luftstrecken zu. Im Vergleich zur den Minimalwerten wie sie in der oben gezeigten Tabelle 1 zu entnehmen sind, ergeben sich folgende Werte für die Paxis: (siehe auch CB Report: GlobTek Modell GTM41076) (Vorschlag: link zum Test Report ab Seite 11ff einfügen, darüber freut sich jeder Techniker etwas Substanz zu finden)
    Tabelle 2: Praxiswerte für Luft- und Kriechstrecken nach EN60601-1-3rd. U in =250VAC, maximale Betriebsspannung der Isolierung: 265V rms , Spitzenspannung: Û≤552V; Einsatzhöhe: ≤ 4000m, Verschmutzungsgrad 2,
    MOP SchutzmaßnahmeLuftstreckeKriechstrecke
    2 x MOOP Doppelte/verstärkte Isolierung Minimalwerte, Theorie4,0 mm5,0 mm
    2 x MOPP Doppelte/verstärkte Isolierung Realwerte, Praxis5,7 mm5,7 mm

    Die oben gezeigte Vorgehensweise führt zu identischen Werten wie die, die in der EN60950 beschrieben sind, was weiter dazu führt, dass Netzteile die diesem Sicherheitsstandard entsprechen durchaus für elektrisch medizinische Geräte eingesetzt werden können. Ob dieses möglich ist, zeigt das Ergebnis der bereits oben erwähnten Risikoanalyse. Nachdem die Luft- und Kriechwege bestimmt sind, gilt es einen Blick auf die maximal zulässigen Ableitströme zu werfen. In Kapitel 7 der 3. Ausgabe der EN60601-1 sind die zulässigen Ableitströme je nach Art des medizinischen Gerätes festgelegt (siehe Tabelle 3), die entsprechenden Anwendungs-kategorien sind darin aufgeführt. Typ B entspricht einer Anwendung die lediglich in Kontakt mit dem Bedienpersonal kommt. Die Kategorien BF und CF legen die Ableitströme für Geräte fest, die einen direkten Kontakt zu dem Patienten haben z.B. mittels Elektroden.

    Tabelle 3: maximal erlaubte Ableitströme nach EN60601-1-3rd. edition; U in :250VAC
    Kategorie/ AbleitstromTyp B
    Body
    Typ BF
    Body Float
    Typ CF
    Cardiac Float
    NC
    Ohne Fehler
    SFC
    Erster Fehler
    NCSFCNCSFC
    Erdableitstrom5,0mA10,0mA5,0mA10,0mA5,0mA10,0mA
    Gehäuseableitstrom0,1mA0,5mA0,1mA0,5mA0,1mA0,5mA
    Patientenableitstrom0,1mA0,5mA0,1mA0,5mA0,01mA0,5mA

    Für das Praxisbeispiel gelten die Werte des Typ B von Tabelle 2 Erfüllt ein Netzteil die Werte aus Tabelle 1 und 2 und ist dieses bereits nach der EN609501-1 geprüft, kann es zur Stromversorgung von elektrisch medizinischen Geräten eingesetzt werden. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass das Netzteil im medizinischen Gesamtsystem lediglich als eine geprüfte Komponente betrachtet wird. Der Netzteillieferant ist daher nicht verpflichtet ein Risikobewertungsverfahren wie oben erwähnt durchzuführen, da der Hersteller des medizinischen Gerätes diese Risikobewertung ohnehin anfertigen muss. Der Entwicklungsingenieur des Netzteils ist allerdings gut beraten während der Entwicklung eine entsprechende FMEA (Failure Mode Effects Analysis) einzuplanen und durchzuführen. Der Medizingerätehersteller wird spätestens bei der beantragten Zulassung seines medizinisch elektrischen Gerätes diese anfordern, um die gestellten Forderung an ihn nach einem Risiko-management im Sinne der Norm zu erfüllen. SFC 10,0mA 0,5mA Das oben aufgeführte Beispiel macht klar, dass die Anforderungen an die Sicherheits-trennstelle innerhalb einer Stromversorgung für medizinische Anwendungen sowohl die elektrischen- als auch die mechanischen Eigenschaften wie zB die Baugröße der Strom-versorgung mit bestimmt. Die bereits erwähnte Risikoanalyse ist ein probates Mittel um die nötige Klarheit bei der Festlegung des Schutzkonzeptes zu erlangen.

    Fazit:

    Zeigt das Ergebnis der Risikoanalyse das ein Patient mit dem medizinischen Gerät nicht in Berührung kommt, ist eine Schutzmaßnahme 2XMOOP (wie in Tabelle 1 und 2 gezeigt) ausreichend.

    Die erforderlichen Werte in Bezug auf Luft-, Kriechstrecken und Prüfspannung sind identisch mit den Werten, die sich auch auf Basis der jeweiligen Tabellen in dem Sicherheitsstandard für Einrichtungen der Informationstechnik EN60950-1 ergeben würde.

    Dieses zeigt eine Angleichung der EN60601-1 an die EN60950-1. Es macht aber auch deutlich, dass es zulässig ist, ein bereits nach der EN60950-1 zugelassenes Netzteil unter den o.g. Bedingungen zur Versorgung eines medizinischen Gerätes einzusetzen um somit Kosten optimieren zu können.

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